UNIVERSITÄT HAMBURG
FACHBEREICH WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFTEN
Institut für Außenhandel und Wirtschaftsintegration - Institut für Verkehrswissenschaften
Prof. Dr. Wolfgang Maennig

Seminar zur Außenwirtschaftspolitik
Sommersemester 1997

"Internationaler Handel: Vor- oder Nachteile für Entwicklungsländer"

vorgelegt von:

Ingolf Meyer-Larsen
Ahrensburg, den 30. Mai 1997


Inhalt

1 Einleitung

2 Handelsoptimisten
2.1 Statische Gewinne durch Freihandel
2 Dynamische Gewinne durch Freihandel
2.2 Wohlfahrtswirkungen von Handelshemmnissen

3 Handelspessimisten
3.1 Die Prebisch-Singer-These
3.2 Kritische Würdigung der Annahmen von Prebisch und Singer
3.3 Das Infant Industry Argument

4 Empirische Untersuchungen
4.1 Zwei Studien: Offene Volkswirtschaften wachsen schneller
4.2 Kritik an den Studien

5 Erfahrungen mit Außenhandelspolitik: Zwei Länderbeispiele
5.1 Südkorea
5.2 Brasilien
5.3 Wichtige Aspekte der Ländererfahrungen

6 Schlußbetrachtung

Anhang
Terms of trade
Untersuchte Länder der in Kapitel 4 betrachteten Studien
Literaturverzeichnis

Abbildungen

Abbildung 2.1: Handels- und Spezialisierungsgewinne
Abbildung 2.2: Wohlfahrtswirkungen eines Importzolles
Abbildung 3.1: Wachstumsrate des Reallohns in Abhängigkeit der Einkommens- und Preiselastizität der Nachfrage
Abbildung 3.2: Terms of trade nicht-erdölexportierender Entwicklungsländer
Abbildung 3.3: Schätzung der Nachfrageelastizitäten ausgewählter Primärgüter
Abbildung 3.4: Lernkurveneffekte
Abbildung 4.1: Ergebnisse der Weltbank Studie
Abbildung 4.2: Ergebnisse der Studie von Michaely u.a.
Abbildung 5.1: Wirtschaftswachstum in Brasilien und Südkorea
Abbildung 5.2: Wachstum der Industrie in Brasilien und Korea
Abbildung 7.1: Barter und income terms of trade der Entwicklungsländer
Abbildung 7.2: Untersuchte Länder und ihre Einteilung nach Außenhandelspolitik

Abkürzungen

Afrika s.d.S. Afrika südlich der Sahara 
BIP Bruttoinlandsprodukt 
BSP Bruttosozialprodukt 
CToT Commodity Terms of Trade 
ECLA United Nation Economic Commission for Latin America 
EP Exportpromotion bzw -förderung 
IWF Internationaler Währungsfond 
LDC Least Developed Country 
IS Importsubstitution 
p.A. per Anno 
SFToT Single Factor Terms of Trade 
ToT Terms of Trade 
vgl. vergleiche 
UNCTAD United Nations Conference on Trade and Development 
WTO World Trade Organisation 
  
  

[Up] 1 Einleitung

In der Entwicklungspolitik stehen sich seit langem zwei Strategien gegenüber: Exportförderung (EP) und Importsubstitution (IS). Erstere propagiert den Export als Entwicklungsmotor, während letztere eine Reduktion der Importe und eine am Binnenmarkt orientierte Entwicklung anstrebt. Dabei wird häufig die EP mit Handelsoffenheit und die IS mit Handelsgeschlossenheit gleichgesetzt. Wie noch gezeigt werden wird, ist dies nicht ganz korrekt, sofern Handelsoffenheit ein Verzicht des Staates, auf das Handelsgeschehen Einfluß zu nehmen, bedeuten soll. Dennoch ist die Ansicht über die Vorteilhaftigkeit des internationalen Handels für Entwicklungsländer entscheidend dafür, in welche Richtung man tendiert.

In dieser Arbeit soll nun die Frage der Vorteilhaftigkeit den Schwerpunkt bilden. Dabei wird von Freihandel als Grundlage ausgegangen und im weiteren betrachtet, inwieweit Abrücken von diesem Vor- oder Nachteile mit sich bringt. Wobei der Maßstab das Wirtschaftswachstum sein soll. Verteilungs- sowie Beschäftigungsfragen werden daher ausgeklammert. Die Betrachtung bezieht sich schwerpunktmäßig auf den Gütermarkt, von dem Einfluß der Finanzmärkte wird soweit wie möglich abgesehen. Dies wäre Thema einer weiteren Arbeit.

Zuerst sollen die theoretischen Positionen der Handelsoptimisten und der Handelspessimisten dargelegt werden. Danach werden einige Studien betrachtet, die Auskunft darüber geben sollen, welchen Gehalt diese Positionen empirisch haben. Letztendlich soll die Entwicklung heutiger Schwellenländer analysiert werden, um Rückschlüsse auf die Bedeutung von Außenhandel und Handelsbeschränkungen im Entwicklungsprozeß zu ziehen.

[Up] 2 Handelsoptimisten

[Up] 2.1 Statische Gewinne durch Freihandel

Wann immer im In- und Ausland verschiedene relative Preisniveaus herrschen, bietet nach der klassischen Handelstheorie internationaler Handel die Möglichkeit zur Wohlfahrtssteigerung. Wichtige Annahmen sind dabei: vollkommene Märkte, Faktormobilität innerhalb eines Landes ohne Friktionsverluste sowie Vollbeschäftigung. Es steigere sich dann sowohl die Weltwohlfahrt als auch jeweils die Wohlfahrt der beteiligten Volkswirtschaften. Letzteres verdeutlicht Abbildung 2.1. anhand eines Zwei-Güter-Falles.

Abbildung 2.1: Handels- und Spezialisierungsgewinne

Quelle: Angelehnt an: Elsworth (1984), S.78

Die Transformations- oder Produktionsmöglichkeitskurve (PMK) gibt alle Mengenkombinationen der Güter x1 und x2 an, die im Land produziert werden können. Die Wohlfahrt wird hier durch unterschiedliche Nutzenniveaus der Konsumenten in Form von Indifferenzkurven (U0/U1/U2 gemessen. Das höchstmögliche Nutzenniveau bei Autarkie ergibt sich bei gegebenen Präferenzen somit in Punkt T0 (U0 und PMK sind tangential). Hieraus ergibt sich auch die Preislinie bei Autarkie P0. Die Preislinie gibt an, welche Mengenkombinationen aus x1 und x2 mit gegebenem Einkommen zum gegebenen Tauschverhältnis erworben werden können.1 Das Einkommen wird durch die Produktionsmenge bestimmt.

Nach Aufnahme von Außenhandel gilt aber die Preislinie des Weltmarktes P1. Durch Gütertausch mit dem Ausland, indem die Menge EX1 von x1 exportiert und IM1 von x2 importiert wird, kann jetzt bereits das höhere Nutzenniveau U1 erreicht werden (Handelsgewinn). Nun werden aber die Produzenten ihre Produktion dem neuen Preisverhältnis anpassen. Für sie ist es vorteilhaft, die Produktion solange zu Gunsten des nun teureren Guts x1 zu verlagern, bis die Grenzrate der Transformation wieder gleich der Preislinie ist. Der Produktionspunkt wandert auf der Transformationskurve von T0 nach T1. Dem entsprechend muß auch die Preislinie verschoben werden, so daß sie durch den neuen Produktionspunkt verläuft (Das Einkommen wird nun durch T1 bestimmt). Dem Land ist es nunmehr möglich, durch Export der Menge EX2 von x1 und Import von IM2 Einheiten x2 das Nutzenniveau U2 zu erreichen (Spezialisierungsgewinn).

[Up] 2.2 Dynamische Gewinne durch Freihandel

Die bislang aufgeführten Effekte sind rein statischer Natur, d.h. die Gewinne durch Aufnahme von Handel führen einmalig zu Wohlfahrtsgewinnen. Es wird aber dem Außenhandel auch eine dynamische Komponente zugestanden. Handel führe demnach zu einer beschleunigten Entwicklung.

In der einfachsten Form wird argumentiert, daß ausgeweiteter Export die Deviseneinnahmen eines Landes steigert. Dies ermöglicht es wiederum, knappe oder nicht erhältliche Güter und Leistungen zu importieren, die für die weitere Entwicklung wichtig sind (Investitionsgüter, Know-how etc.). In diesem Sinne hat Außenhandel einen indirekten Entwicklungseffekt.

Zumeist wird aber der direkte Entwicklungseffekt von Handelsoffenheit betont. Dem zu Grunde liegt die Annahme, daß einige Schlüsselbereiche des Exportsektors geeignet sind, als leading sectors eine Katalysatorfunktion im Entwicklungsprozeß einzunehmen. Es wird argumentiert, daß die verstärkte Konkurrenz auf dem Weltmarkt die Exportindustrie zwingt, durch ständige Innovation und Effizienzsteigerung ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Zusätzlich ermöglicht der Weltmarkt, zunehmende Skalenerträge auszunutzen und die Produktivität zu steigern.

Die vom Exportsektor hervorgebrachten Entwicklungssprünge sollen dann durch backward und forward linkages2 auf die Binnenwirtschaft überspringen. Man spricht hier auch von spill-over effects. Darüber hinaus wird als Sekundäreffekt erwartet, daß das im Exportsektor erhöhte Einkommen über den Konsum im Sinne des Multiplikatoreffekts das Wirtschaftswachstum verstärkt. 3

[Up] 2.3 Wohlfahrtswirkungen von Handelshemmnissen

Die Vorstellung, ein Land habe die Wahl zwischen Autarkie und Aufnahme von Handelsbeziehungen, ist unrealistisch. Vielmehr partizipieren so gut wie alle Staaten auf irgendeine Weise am Welthandel. Begrenzung von Handel kann somit nur mit Hilfe von Importrestriktionen sichergestellt werden. Als weiteres Argument für Freihandel läßt sich daher anführen, daß Handelsbarrieren in jedem Fall die Weltwohlfahrt verringern, aber auch ebenfalls in den meisten Fällen die Wohlfahrt des beschränkenden Landes. Dies soll kurz am Beispiel eines Importzolls dargestellt werden. (Alle Bezeichnungen beziehen sich auf Abbildung 2.2.) Es ergeben sich folgende Effekte:

Abbildung 2.2: Wohlfahrtswirkungen eines Importzolles

Quelle: angelehnt an: Krugman/Obstfeld (1994), S. 204

1. Der Inlandspreis erhöht sich um den Zollbetrag Z. Hat das Land die Größe, um die Preise auf dem Weltmarkt zu beeinflussen, sinkt der Weltmarktpreis aufgrund des Nachfrageausfalls im Inland (terms of trade Effekt). Dies wirkt dem Preisanstieg im Inland entgegen (in Höhe von P0 - PZ,W). Die Verluste der Konsumenten wie die Gewinne der Produzenten werden so gemindert.
2. Die Produzentenrenten steigen aufgrund des erhöhten Inlandspreises und einer Mengenausweitung um a.
3. Die Konsumentenrenten nehmen hingegen um a+b+c+d ab. Dies ist auf den höheren Preis und der daraus resultierenden Abnahme der Nachfragemenge zurückzuführen.
4. Der Staat erhält Zolleinnahmen in Höhe von c+e.

In dem Fall eines kleinen Landes, das keinen Einfluß auf den Weltmarktpreis hat, muß nur der eingefärbte Bereich aus Abbildung 2.2 betrachtet werden. (In diesem Fall sind Pz,w und Pz,i auf gleichem Niveau vorzustellen.) Es kommt zu einem Wohlfahrtsverlust von a - (a+b+c+d) +c = -(b+d). (Harberger Dreiecke)

Für ein Land mit Einfluß auf den Weltmarktpreis steigern sich die Zolleinnahmen um e. Nur wenn e größer als b+d ist, ergibt sich eine Wohlfahrtssteigerung.

Diese Analyse berücksichtigt nicht weitere Wohlfahrtsverluste durch administrativen Aufwand für die Zollerhebung und -überwachung, sowie die aus der politischen Ökonomie bekannten Kosten, wie etwa unproduktives rent-seeking, o.ä.. Ebenfalls besteht bei Einführung von Handelsbarrieren immer die Gefahr von Gegenmaßnahmen des Auslandes, welche zu einer weiteren Verminderung der Wohlfahrt führen.

[Up] 3 Handelspessimisten

Trotz der positiven Auswirkungen von Freihandel, die im letzten Kapitel ausgearbeitet wurden, verfielen viele Entwicklungsländer in einen Handelspessimismus. Sie folgten der Politik der Importsubstitution (IS) und bauten hohe Handelsbarrieren auf. Als Grundlage dafür führten Kritiker des Freihandels u.a. die ungünstige Entwicklung der terms of trade (ToT) der Entwicklungsländer an.4 Diese inspirierten Raúl Prebisch5 und Hans Singer6 dazu, die nach ihnen benannte These zur ungünstigen Position der Entwicklungsländer im Welthandel aufzustellen.

[Up] 3.1 Die Prebisch-Singer-These

Demnach führen die komparativen Kostenvorteile gemäß der klassischen Handelstheorie zu einer Spezialisierung der Entwicklungsländer auf Primärgüter, während Investitionsgüter und industrielle Konsumgüter importiert werden müssen. Diese Arbeitsteilung ist lt. Prebisch und Singer von folgenden Bedingungen7 geprägt:

1. Die Einkommenselastizität der Nachfrage nach Primärgütern ist niedrig.
2. Die Preiselastizität der Nachfrage nach Primärgütern ist ebenfalls niedrig.
3. Die Nachfrageelastizitäten nach den von den Entwicklungsländern importierten Gütern sind hoch.
4. Auf den Gütermärkten, auf denen die Entwicklungsländer als Anbieter auftauchen, herrscht zwischen diesen vollkommene Konkurrenz.
5. Das Angebot der Märkte, auf denen die Industrienationen als Anbieter vertreten sind, ist hingegen von monopolistischen Strukturen geprägt.
6. Ebenso ist der Wettbewerb unter den Arbeitnehmern in den Entwicklungsländern hoch, und es kommt nicht zu Lohnerhöhungen. Hingegen sichern starke Gewerkschaften Lohnsteigerungen in den Industrienationen.
7. Die Wirtschaftsentwicklung der Entwicklungsländer hängt von importierten Investitionsgütern ab.

Aus 1.) folgt, daß der Exportsektor langsamer wächst als die Weltwirtschaft. Aus 2.) folgt weiter, daß Mengenausweitungen nicht zu Einkommensverbesserungen führen. Es kommt zum Verelendungswachstum8, wonach Produktionssteigerungen wegen des einsetzenden Preisverfalls zu Einkommensverlusten führen. Preissteigerungen seien hingegen wegen 4.) nicht durchzusetzen - Daher stoße das einzelne Land bei Preiserhöhung auf eine sehr hohe Preiselastizität.

Es wird daraus und aus 6.) abgeleitet, daß Kostenersparnisse durch technischen Fortschritt an die Industrienationen voll weitergegeben werden, während letztere die Gewinne aus ihrer Produktivitätssteigerung domestizieren können, in Form von höheren Löhnen. Dies ist möglich aufgrund stärkerer Gewerkschaften und monopolistischer Verhältnisse in ihren Industrien (5. und 6.).

Darüber hinaus beschränke der nicht oder schwach wachsende Exportsektor die Investitionsgüterimporte. Letztere müssen um einer ausgeglichenen Handelsbilanz Willen mit den Exporteinnahmen bezahlt werden. - Wegen 7.) wird somit die Investitionstätigkeit und letztendlich das Wachstum behindert.

Abbildung 3.1: Wachstumsrate des Reallohns in Abhängigkeit der Einkommens- und Preiselastizität der Nachfrage

Quelle: Ziesemer (1994), S.17

In einem neueren Modell zur Prebisch-Singer-These zeigt Ziesemer (1994) die Möglichkeit auf, daß selbst wenn der gesamte Exporterlös für Investitionsgüter ausgegeben wird, unter den obigen Annahmen das Wachstum unter Handel hinter dem bei Autarkie zurückbleibt. Abbildung 3.1 zeigt den Zusammenhang zwischen Einkommens- und Preiselastizitäten (( bzw. () und dem Wachstum im Entwicklungsland, hier durch die Wachstumsrate des Reallohns w approximiert. Die waagerechte mit wG bezeichnete Linie repräsentiert das Wachstum einer geschlossenen Volkswirtschaft.9 Sind nun ( und ( niedrig, bleibt das Wachstum bei Außenhandel hinter dem bei Autarkie zurück (z.B. (Ny=1 und (Rho= -0,5 oder allgemein alle Kombinationen auf den Geraden im Abschnitt unterhalb der wG-Linie).

Aus der Prebisch-Singer-These ergibt sich also, die Empfehlung für Entwicklungsländer dem Welthandel fernzubleiben, solange sich die Marktbedingungen nicht für sie bessert. Daraus leiten sich die beiden Hauptaspekte der IS ab: Ein Abschirmen vom internationalen Handel durch Handelsbarrieren und die Entwicklung einer eigenen Industrie hinter diesen.

[Up] 3.2 Kritische Würdigung der Annahmen von Prebisch und Singer

Abbildung 3.2: Terms of trade nicht-erdölexportierender Entwicklungsländer

Quelle: Todaro (1997),S.429

Der Trend der terms of trade nicht-erdölexportierender Entwicklungsländer war, wie Abbildung 3.2 veranschaulicht, tatsächlich in vergangener Zeit negativ. Die Bedeutung dieser Tendenz hingegen ist umstritten.10

Dies entwertet aber nicht das Argument niedriger Nachfrageelastizitäten für Primärgüter. Jene werden durch Schätzungen von Baban u.a. (1992) unterstrichen.11

Abbildung: Schätzung der Nachfrageelastizitäten ausgewählter Primärgüter 
 Preiselastizität der Nachfrage Einkommenselastizität der Nachfrage 
Kaffee -0,2 / -0,4 0,45 
Kakao -0,2 / -0,4 0,6 / 0,9 
Tee -0,1 / -0,3 0,1 / 0,7 
Kupfer -0,01 / -0,8 0,5 / 1,4 
Quelle: R.C. Baban, J.E. Greene (1992)

Diese Nachfrageprobleme werden jedoch relativiert, weil Entwicklungsländer nicht nur aus dem Primärsektor exportieren. Allerdings ist gerade bei den ärmsten Ländern, die Entwicklung am nötigsten haben, diese Tendenz doch vorherrschend. Die laut UNCTAD ärmsten Länder der Erde exportieren zu über 75% Güter des Primärsektors. Die Kaufkraft der Exporteinnahmen dieser Staatengruppe fiel dabei zwischen 1980 und 1990 um 7%. Zum Vergleich: Alle Entwicklungsländer hatten nur einen Anteil des Primärsektors am Export von ca. 40%, die Kaufkraft der Exporterlöse stieg hingegen im gleichen Zeitraum um 29%.12 Darüber hinaus werden auch die Marktaussichten für einfache Industriegüter von einigen Autoren als ungünstig eingeschätzt.13

[Up] 3.3 Das Infant Industry Argument

Im Zusammenhang mit der Prebisch-Singer-These und der IS, aber auch sonst dient das infant industry Argument häufig als Grundlage für Handelsbeschränkungen. Ausgegangen wird davon, daß beim Aufbau einer neuen Industrie oder Einführung neuer Produkte häufig Lerneffekte eine Rolle spielen.


3.4:
Lernkurveneffekte

Quelle: Angelehnt an Maennig (1996), Abb. 3.39

Anfänglich besitzt die Industrie demnach nicht die Erfahrung und das Know-how, um preislich und qualitativ auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein. In diesem Falle kann die Einführung eines temporären Schutzzolles, auch Erziehungszoll genannt, zur Steigerung der Wohlfahrt führen. Abbildung 3.4 verdeutlicht dies: Hersteller A war zuerst auf dem Markt und hat bereits Punkt A auf seiner Lernkurve erreicht. Hersteller B hingegen tritt neu in den Markt ein und verharrt noch auf Punkt B1 seiner Lernkurve. Obwohl die Kosten bei gleicher Erfahrung bei B niedriger sind (z.B. aufgrund niedrigerer Lohnkosten), kann er anfänglich mit A nicht konkurrieren. Genießt B hingegen Zollschutz o.ä., bis er auf seiner Lernkurve auf Punkt B2 vorrückt, wird er konkurrenzfähig. Im Endeffekt kann er A sogar vom Markt verdrängen. Wichtiger ist aber, daß das Gut jetzt zu niedrigeren Kosten hergestellt werden kann. Der Preis sinkt, welches die Wohlfahrt mehrt und die Kosten des Zolles kompensieren mag.14

[Up] 4 Empirische Untersuchungen

In dem vorangegangenem Kapitel wurde die Möglichkeit aufgezeigt, daß eine Beschränkung des Handels für Entwicklungsländer von Vorteil sein könnte. Dieser Argumentation folgten nach dem Zweiten Weltkrieg die meisten Entwicklungsländer und wendeten sich einer Politik der IS zu.

Mehrere Studien haben seither versucht, den Einfluß von internationalem Handel auf das Wirtschaftswachstum von Entwicklungsländern zu bestimmen. Der Großteil der Ergebnisse dieser Studien wird so interpretiert, daß Länder, die eine offenere Außenhandelspolitik verfolgten, ein höheres BIP verzeichneten als andere.15 Es sollen hier die Ergebnisse zweier repräsentativer Studien umrissen werden.

[Up] 4.1 Zwei Studien: Offene Volkswirtschaften wachsen schneller

Abbildung 4.1: Ergebnisse der Weltbank-Studie

Quelle: World Bank (1987), S. 84

Die Weltbank unternahm 1987 eine großangelegte Untersuchung, in der sie die wirtschaftliche Entwicklung von 41 Ländern in Abhängigkeit von deren Außenhandelspolitik untersuchte. 16 Dabei wurden die Länder jeweils für den Zeitraum von 1963-1973 und von 1973-1985 vier Gruppen zugeordnet: von stark binnenorientiert bis stark außenorientiert. Auf das Problem der Bestimmung von Handelsorientierung und -offenheit wird im nächsten Abschnitt noch näher eingegangen.

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie sind in Abbildung 4.1 zusammengefaßt. Deutlich ist zu erkennen, daß je mehr eine Volkswirtschaften außenorientiert war, desto höher fiel das Wachstum des BIP aus. Dieser Trend gilt auch für den Anstieg des Anteils der verarbeitenden Industrie am BIP, zumindest soweit es die Extremgruppen betrifft.

Abbildung 4.2: Ergebnisse der Studie von Michaely u.a. 
 Jährliches BIP-Wachstum Jährliches Wachstum der verarbeitenden Industrie 
 Vor Jahr der Nach Vor Jahr der Nach 
Liberalisierungsphasen Liberalisierung Liberalisierung 
       
Alle4,4 4,7 5,6 6,7 5,3 7,3 
Starke 3,5 4,9 5,4 5,6 3,5 6,2 
Schwache5,6 4,4 5,7 8,4 7,8 8,8 
       
Anmerkung: Betrachtet wurden vor und nach einer Liberalisierungsphase jeweils ein Zeitraum von drei Jahren
Quelle: Michaely u.a. (1991), S.88 u. 97
Michaely, Papageorgiou und Choski (1991) beschränkten sich in ihrer Studie auf die Analyse der Veränderung der Außenhandelsausrichtung von 19 Ländern17 über verschiedene Jahre. Es wurde u.a. das Wirtschaftswachstum vor und nach einer Außenhandelsliberalisierung betrachtet. Dabei wurden die Liberalisierungsphasen auch ihrem Ausmaß nach in "starke" und "schwache" Liberalisierungsversuche unterteilt. Das Ergebnis ist in Abbildung 4.2 zusammengefaßt. Es wurde ein deutlicher Anstieg des BIP in den Jahren nach Liberalisierungsphasen beobachtet, hingegen ist der Einfluß auf den Fortgang der Industrialisierung schwieriger zu beurteilen. In dem Jahr der Liberalisierung ist ein Rückgang des Wachstums der heimischen Industrie zu beobachten. Dies läßt sich möglicherweise auf den Anpassungsprozeß der Industrien zurückführen, die nun stärkerer ausländischer Konkurrenz ausgesetzt sind. Die weiteren Daten legen aber den Schluß nah, daß dies nur ein temporärer Effekt ist

[Up] 4.2 Kritik an den Studien

Allerdings waren diese Studien von einigen prinzipiellen Problemen geplagt.

1. Einteilung der Länder in handelsoffen und -geschlossen

Die Einteilung der Länder in handelsoffene und -geschlossene ist problematisch, weil es weder Länder gibt, die in Autarkie verweilen, noch welche, die auf jeglichen Handelseingriff verzichten. Es handelt sich bei Offenheit also um einen stetig veränderbaren Zustand, der beliebige Werte zwischen Autarkie und Freihandel annehmen kann.

Das Konzept der gerade vorgestellten und vieler anderer Studien zur Einteilung der Länder nach ihrer Außenhandelsorientierung, lehnt sich an jenes von Anne Krueger (1978) an. Sie schlug vor, die Außenhandelsausrichtung eines Landes anhand des anti-export-bias zu messen. Dabei erhöhen jegliche Maßnahmen zum Schutz einheimischer Industrien (Zölle, Kontingente etc.) die Maßzahl. Ebenso wird der negative Exportanreiz durch eine überbewertete Währung eingerechnet. Exportsubventionen und andere Vergünstigungen für Exporteure verringern hingegen den anti-export-bias.18

Das heißt aber auch, daß ein Land als neutral eingestuft werden kann, obwohl es in einigen Sektoren stark protektionistisch handelt, dies aber durch Exportsubventionen und -anreize in anderen Sektoren ausgleicht.19 Außerdem bedeuten auch Exportsubventionen und vergleichbare Maßnahmen eine Abkehr vom Freihandel. Somit kann mit dieser Methode nur das Ausmaß der Exportorientierung eines Landes gemessen werden, jedoch nicht der Grad der Handelsoffenheit bzw. der Verzerrung des Handels. Dennoch werden diese Studien häufig in letzterem Sinne interpretiert.

Darüber hinaus tritt in der Praxis das Problem auf, daß die verschiedenen nicht-tarifären Handelsbeschränkungen und Zölle schwer vergleichbar sind. Daher ist die Gewichtung der Kriterien teilweise subjektiver Natur. Krueger selbst z.B. hob die Bedeutung von quantitativen Beschränkungen hervor und vernachlässigte Zölle,20 während in dem Michaely-Projekt die Gewichtung den Autoren, der einzelnen Länderstudien überlassen wurde. Somit sind nicht einmal die Methoden und Ergebnisse innerhalb der selben Studie länderübergreifend vergleichbar.21

2. Kausalität

Todaro (1997, S.465) merkte an, daß das schlechte Abschneiden der binnenorientierten Länder nicht auf deren Handelsausrichtung zurückzuführen sei, sondern vielmehr daran läge, daß die meisten dieser Länder aufgrund ihrer Armut oder Exportstruktur kein höheres Wachstum erzielen konnten.

3. Allgemeingültigkeit der Untersuchungen

Daraus ergibt sich die Frage, ob die Ergebnisse obiger Studien generell für alle Entwicklungsländer gelten oder ob nicht verschiedene Gruppen von Entwicklungsländern getrennt betrachtet werden müssen. Es ist dabei anzumerken, daß die Studie von Michaely u.a. lediglich Entwicklungsländer der mittleren Einkommensstufe betrachtete.22 In einer früheren Studie bemerkte Michaely dazu bereits: "[It] seems .. that growth is affected by export performance only once countries achieve some minimum level of development"

Dies wird bestätigt durch Singer und Gray (1988). Sie fanden, daß der positive Effekt von Außenhandel für arme Länder nicht nachzuweisen war, in einigen Fällen sogar eine negative Korrelation bestand.23 Auch andere Studien bestätigen, daß die Korrelation zwischen Exportorientierung und Wirtschaftswachstum bei den geringst entwickelten Ländern nicht signifikant ist.24 Es muß aber ebenso festgestellt werden, daß die Versuche mit IS der Länder Afrikas s.d.S., die größtenteils in diese Kategorie fallen, ebenfalls zu unbefriedigenden Ergebnissen führten. So fiel in dieser Region die Pro-Kopf-Produktion zwischen 1980 und 1990 um 42,5%25

Kavoussi (1985) analysierte, daß exportorientierte Länder nur bei günstiger Weltkonjunktur für ihre Exportprodukte ein höheres Wachstum verzeichnen können, bei schleppender Nachfrage hingegen würden binnenorientierte Länder möglicherweise im Vorteil sein.26 Dies würde in Anbetracht fallender Preise für Primärgüter für viele Entwicklungsländer gegen ein Engagement im internationalen Handel sprechen.

Insgesamt läßt die Gesamtheit der Studien dennoch den Schluß zu, daß i.d.R. intensiverer Außenhandel vorteilhaft ist. Denn selbst die Kritiker konnten nur selten sehr geschlossenen Volkswirtschaften bessere Ergebnisse attestieren. Es bleibt aber die Fragen offen, inwieweit dieses Ergebnis für alle Länder und alle Zeiten gilt.

[Up] 5 Erfahrungen mit Außenhandelspolitik: Zwei Länderbeispiele

Die oben besprochenen Studien weisen einige Unzulänglichkeiten, insbesondere in der Einstufung der Länder nach Handelsoffenheit, auf. Es erscheint daher angebracht zu untersuchen, inwieweit ein begrenztes Abweichen vom Freihandel Vorteile mit sich bringt. Dies soll anhand zweier Länder untersucht werden, die den Sprung vom Entwicklungs- zum Schwellenland geschafft haben.

Abbildung 5.1: Wirtschaftswachstum in Brasilien und Südkorea

Quelle: WTO (1996), Tabelle I.2; Taylor (1988), S.138; Wilke(1997), Tabelle 3403

Abbildung 5.2: Wachstum der Industrie in Brasilien und Korea

Quelle: Baer (1995), Tabelle A1; Sakong (1993), Tabelle A1

[Up] 5.1 Südkorea

Die Republik Korea wird gerne als Beispiel für den Erfolg offener Länder angeführt. Koreas BSP wuchs zwischen 1962 und 1990 jährlich um durchschnittlich 9%. Ebenfalls war die Veränderung der sektoralen Struktur zu höherwertigen Produkten bemerkenswert. Während 1962 nur 17% der Exporte aus der verarbeitenden Industrie stammten, waren es 1980 bereits 75%.27 Auch innerhalb des Industriesektors entwickelte sich Korea in Richtung hochwertigerer Produkte. So wurde Korea 1984 nach den USA und Japan der dritte Hersteller von Computerspeicherchips.28

Allerdings begann Südkoreas Entwicklung nach dem Ende des Koreakriegs 1953 mit klassischer IS29, d.h. Korea schirmte den heimischen Markt mit Zöllen, Kontingenten und anderen Handelsbarrieren von ausländischer Konkurrenz ab. Gemäß Sridharan30 war diese erste Phase eine notwendige Grundlage für die weitere Entwicklung, in der technische Fähigkeiten erlernt wurden, die später den Exportboom ermöglichten.

Erst 1961 setzte vor dem Hintergrund enttäuschenden Wachstums ein radikales Umdenken ein.31 Die koreanische Regierung begann sich auf den Export zu konzentrieren. Dies ging anfänglich aber nur mit einem geringem Abbau von Handelsschranken einher. Vielmehr wurden für den Export vorgesehene Industrien systematisch auf dem Heimatmarkt geschützt.32 Gleichzeitig wurden diesen aber Vergünstigungen in Form von Sonderkrediten, Zoll- und Steuererleichterungen gestattet.33 Am wichtigsten war möglicherweise, daß solche Vergünstigungen an den Exporterfolg geknüpft waren. So gelang es Korea trotz Protektionismus' Anreiz für den Export zu schaffen. Ein weiteres Merkmal war, daß gewährte Protektion relativ schnell wieder abgebaut wurde - also tatsächlich nur solange gewährt wurde, wie eine Industrie noch Lerneffekte aufwies.34

Erst nach 1970 begann Korea, auf breiter Front Handelsbarrieren einzureißen. Gleichzeitig wurde aber im Rahmen eines Programmes zur Förderung der Schwer- und Chemieindustrie für diese Protektion eingeführt. Dies ging soweit, daß anderen Betrieben vorgeschrieben wurde, bei Maschineneinkäufen einen bestimmten koreanischen Anteil einzuhalten.35 Zwar war dieses Programm nicht in allen Bereichen erfolgreich, dennoch, so eine Weltbank-Studie, wären einige der Errungenschaften anders vermutlich nicht so schnell erreicht worden.36

[Up] 5.2 Brasilien

Auch Brasilien kann auf eine erfolgreiche Entwicklung zurückblicken. Zwischen 1947 und 1980 wuchs das BIP durchschnittlich um 8% p.A..37 Brasilien stieg zum sechstgrößten Hersteller der Welt von verarbeiteten Industriegütern auf.38

Brasiliens Wachstumsstrategie war über die Zeit aber stärker binnenorientiert als die Südkoreas. Anfang der 40er Jahre entsprach Brasiliens Außenhandelstruktur weitgehend den Annahmen der Prebisch-Singer-These. Es wurden vornehmlich Primärgüter exportiert und Industriegüter importiert. Dies führte zu hohen Wachstum solange die Weltnachfrage günstig war. Ab Mitte der 40er Jahre hingegen nahm die Nachfrage nach brasilianischer Ausfuhrware aufgrund von Nachfrageänderungen in den Industrienationen und verstärkter Konkurrenz aus anderen Entwicklungsländern nicht mehr zu.39 Zusätzlich experimentierte die Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg mit Freihandel. Es gab kaum Handelsbeschränkungen.40 Die Folge war, daß die Importe die Exporte um ein vielfaches überstiegen und so die Zahlungsbilanz in Schieflage brachten. Als Reaktion wendete sich Brasilien Ende der 40er Jahre der Importsubstitution zu. Diese führte anfänglich zu einem Wachstumsschub, das jährliche Wachstum stieg von 2,4% vor der Wende zur IS (1947) auf um die 6% in den Folgejahren.41 Es setzte auch die gewünschte Umstrukturierung der Wirtschaft ein. Der Anteil der besonders von der IS geförderten Industrien stieg von 32% auf 58% im Zeitraum von 1949-1964.42 Die Dynamik ließ aber schnell nach. Bis 1963 verlangsamte sich das jährliche Wachstum auf 1,6%.43

Das weitere Wachstum Brasiliens war nicht ohne Zuwendung zum Export zu verwirklichen. Ab 1964 versuchte man nun, im Inland groß gewordene Industrien zum Export zu bewegen. Mittel dazu waren ähnlich wie in Korea Steuer- und Zollbefreiungen, Exportkreditvergabe und staatliche Koordination. Es wurden sogenannte Gruppos Executivos gebildet, die Schritte in anspruchsvollere Industrien koordinierten. Gleichzeitig hatten diese maßgeblichen Einfluß auf die Gewährung von Exportvergünstigungen. 44

Zu dieser Zeit wurden auch die Handelsbeschränkungen gelockert, es blieb aber dennoch ein hohes Schutzniveau. Dieses wurde bis 1973 weiter reduziert. Allerdings wurden nach der ersten Ölkrise 1973 zur Abwendung von Zahlungsbilanzschwierigkeiten die protektionistischen Maßnahmen wieder verstärkt.45 Inwieweit sich nun Protektion auf die Industrie günstig oder ungünstig auswirkte, ist schwer zu beurteilen. Zumindest erscheint das Abweichen vom Freihandel in Form einer Kombination aus EP und Schutz auf dem Heimatmarkt bis in die 70er Jahre Brasilien nicht geschadet zu haben.

Die positive Entwicklungsbilanz wurde aber mit der Schuldenkrise von 1980 gestoppt, als das Wirtschaftswachstum ins Negative viel.46 Nach Franco/Fritsch (1992) war auch die zuvor betriebene IS am Ausmaß der Krise schuld. Die IS führte demnach dazu, daß die durch die zweite Ölkrise hervorgerufenen erhöhten Einfuhrkosten nicht durch Importreduzierung kompensiert werden konnten, da der Import bereits auf nur essentielle Güter reduziert war.47

[Up] 5.3 Wichtige Aspekte der Ländererfahrungen

Es ist sicherlich nicht eindeutig möglich, Ursachen und Wirkung in der Entwicklung beider Länder genau auseinander zu halten. Zu viele andere hier ausgesparte und vom Außenhandel unabhängige Effekte bringen Unschärfe ins Bild. Dennoch fallen einige Beobachtungen auf.

1.) Eine alleinige Konzentration auf den Binnenmarkt scheint kein langfristiges Wachstum zu ermöglichen. In beiden Ländern führte die anfängliche orthodoxe IS zu enttäuschenden Ergebnissen. Dies unterstreicht das Ergebnis der in Kapitel 4 vorgestellten Studien, wonach Exportorientierung vorteilhaft ist. In Brasilien war die Bilanz der IS etwas besser, auch tat in Brasilien ein allgemein höheres Protektionsniveau dem Wachstum lange Zeit keinen Abbruch. Dies fand erst in den 80er Jahren mit der Schuldenkrise ein Ende - Welchen Einfluß die IS hierauf hatte, bleibt umstritten. Es ist aber allgemein akzeptiert, daß Brasilien sich den Protektionismus nur aufgrund der Größe des heimischen Marktes erlauben konnte. Die Bedeutung eines großen Binnenmarktes wurde besonders treffend von Fanelli u.a. (1994, S.240) formuliert: "In the long run, confrontation with external competition makes sense ..., but large countries have the freedom to pick a place and time"

2.) Es erscheint plausibel, daß unter bestimmten Umständen selektive Eingriffe in das Handelsgeschehen Vorteile bringen können. Insbesondere begünstigt eine staatliche Lenkung mit Hilfe von Schutz- und Förderungsmaßnahmen ein Upgrading in höherwertige Industrien. Brasiliens Abkehr von Primärgütern, sowie gezielte Steuerung in Korea und nicht ganz so gezielte in Brasilien führten zu einem bemerkenswerten Aufstieg auf der Technologieleiter.

Insgesamt war Korea in diesem Punkt besonders effektiv. Mögliche Ursachen hierfür sind in folgenden Punkten zu suchen:

Korea hatte ein hohes Maß an wirtschaftspolitischer Konsistenz. Bradford (1986, S.123) hebt dabei hervor, daß nicht nur eine kohärente Entwicklungsstrategie erstellt wurde, sondern diese von Wirtschaft und Staat im Einklang umgesetzt wurde.

Im allgemeinen war die Politik Koreas erfolgreicher im Vermeiden von unproduktiver Lobbyingarbeit bzw. von rent-seeking Aktivitäten. Dazu beigetragen haben die größere Unabhängigkeit der Regierung von der Wirtschaft sowie schnell auslaufende Vergünstigungen und Protektionsmaßnahmen. Ausdruck davon war, daß in Korea der Untergang von erfolglosen Unternehmen bewußt in Kauf genommen wurde.48 Nichtsdestoweniger scheint auch Korea nicht frei von Lobbyingkosten gewesen zu sein, wie die jüngsten Korruptionsskandale um den Sohn des Präsidenten Kim belegen.49

Es muß den Handelsoptimisten aber auch zugestanden werden, daß die Republik Korea ihr Handelssystem deutlicher liberalisierte als Brasilien.

[Up] 6 Schlußbetrachtung

Im großen und ganzen werden die Handelsoptimisten bestätigt. Außenhandel kommt eine wichtige Rolle im Entwicklungsprozeß zu. Dies bedeutet aber nicht, daß perfekter Freihandel die beste Strategie für Entwicklungsländer ist.

Für die ärmsten der Entwicklungsländer hingegen sind die Vorteile internationalem Handels weniger eindeutig. Weder konnte ein besonderer Vorteil der Offenheit dargelegt werden, noch lassen die Experimente mit IS in Afrika eine positive Bilanz für Geschlossenheit zu.

Es läßt sich aber feststellen, daß der Weg der Entwicklung über Diversifizierung und eine Bewegung hin zu höherwertigen Produkten führt. Hierbei kann es hilfreich sein, zum einen die Vorteile des großen Weltmarktes zu nutzen, aber auch andererseits mit protektionistischen Maßnahmen und Subvention steuernd und fördernd einzugreifen. Dabei ist darauf zu achten, daß der Export- und Produktivitätssteigerungsanreiz nicht verloren geht.

Es wäre auch denkbar, Vorteile des großen Marktes auszunutzen, ohne dessen Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, indem ein gemeinsamer Markt von Ländern in ähnlichem Entwicklungsstadium geschaffen wird, innerhalb dessen dann alle Handelsverzerrungen abgeschafft werden. Ein hoffnungsvoller Schritt in diese Richtung wurde z.B. in Lateinamerika mit dem Mercosur gemacht. Es zeichnen sich erste Erfolge ab. So stieg der Handel zwischen den Mitgliedsländern, nachdem die ersten gegenseitigen Begünstigungen eingeführt wurden, um 27% p.A. Trotz zeitweiliger Uneinigkeiten wird sich dieser Trend nach der Schaffung einer Zollunion im April 1995 vermutlich fortsetzen.50

[Up] Anhang

[Up] Terms of trade

Die (commodity) terms of trade CToT51 berechnen sich aus dem Verhältnis des Preisindex der Exporte zu dem der Importe: CToT = PEX/PIM. Allerdings ist es möglich, daß trotz fallender CToT das Exporteinkommen des Landes steigt. Dies ist der Fall, wenn der Einnahmeverlust durch den Preisverfall von Mehreinnahmen aufgrund gleichzeitiger Mengenausweitung überkompensiert wird. Um dies zu berücksichtigen, zieht man die income terms of trade (IToT) heran. Formal berechnen sich die IToT aus den CToT multipliziert mit den Exportmengen: IToT = PEX/PIM *QX. Darüber hinaus bedeutet eine Mengenausweitung nicht zwangsweise einen größeren Ressourcenverbrauch, wenn aufgrund von Produktivitätssteigerungen, eine größere Menge mit dem gleichen Faktoreinsatz erstellt werden kann. Dies wird in den single factor terms of trade berücksichtigt: SFToT = PEX/PIM *AEX, wobei AEX ein Index für die Produktivität der im Inland eingesetzten Faktoren darstellt.52

Abbildung 7.1: Barter und income terms of trade der Entwicklungsländer

Quelle: World Bank: World Development Report 1991, Oxford 1991, S.127

[Up] Untersuchte Länder der in Kapitel 4 betrachteten Studien

Studie der Weltbank:

Abbildung 7.2: Untersuchte Länder und ihre Einteilung nach Außenhandelspolitik


Periode 
stark
außenorientiert 
gemäßigt
außenorientiert 
gemäßigt binnenorientiert stark
binnenorientiert 
1963-73 Hongkong
Republik Korea
Singapur 
Brasilien
Costa Rica Elfenbeinküste
Guatemala
Indonesien
Kamerun
Kolumbien
Israel
Malaysia
Thailand 
Bolivien
El Salvador
Honduras
Kenia
Madagaskar
Mexiko
Nicaragua
Nigeria
Philippinen
Senegal
Tunesien
Jugoslawien 
Argentinien
Äthiopien
Bangladesch
Burundi
Chile
Dominik.Republik
Ghana
Indien
Pakistan
Peru
Sri Lanka 
Sudan
Tansania
Türkei
Uruguay
Sambia 
1973-85 Hongkong
Republik Korea
Singapur 
Brasilien
Chile
Israel
Malaysia
Thailand
Tunesien
Türkei
Uruguay 
Costa Rica Elfenbeinküste
El Salvador
Guatemala
Honduras
Indonesien
Kamerun
Kolumbien
Kenia
Mexiko
Nicaragua
Pakistan
Philippinen
Senegal
Sri Lanka
Jugoslawien 
Argentinien
Äthiopien
Bangladesch
Bolivien
Burundi
Dominik.Republik
Ghana
Indien
Madagaskar
Nigeria
Peru
Tansania
Sudan
Sambia 
Quelle: World Bank (1987), S. 83 

Studie von Michaely, Choski und Papageorgiou: Untersuchte Länder

Argentinien, Brasilien, Chile, Griechenland, Indonesien, Israel, Jugoslawien, Kolumbien, Korea, Neu Seeland, Pakistan, Peru, Philippinen, Portugal, Singapur, Spanien, Sri Lanka, Türkei, Uruguay

Die Auflistung der Einteilung nach Außenhandelspolitik ist zu feingliedrig, um sie hier wiederzugeben. Darüber hinaus sind die Werte zwischen den Ländern nicht vergleichbar.

[Up] Literaturverzeichnis

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1 Maennig (1996), Kap.3, S.16
2 Von backward-linkgage spricht man, wenn sich eine Entwicklung einer Industrie auf ihre Vorprodukte ausweitet, etwa durch Druck auf den Vorleister, seine Kosten zu senken, technische Hilfe u.ä. Forward-linkgages entstehen, wenn durch verbesserte Vorprodukte sich wiederum neue oder bessere Endprodukte herstellen lassen. Vgl. dazu: G.M. Meier (1995), S.346
3 Zu diesem Abschnitt vgl. Hemmer (1988), S.510ff; UNCTAD (1996b), S.108ff
4 Zur Berechnung und Aussagekraft der terms of trade siehe Anhang
5 Vgl. Prebisch (1985)
6 Vgl. Singer (1950)
7 Eine gute Zusammenfassung hierzu ist in Wagner/Kaiser (1995), S. 71f zu finden
8 Den Begriff Immismerizing Growth (Verelendungswachstum) prägte Bhagwati (1968)
9 Eine ausführliche Behandlung der von Ziesemer benutzten Modelle geht über den Rahmen dieser Arbeit hinaus. Siehe deshalb dazu Ziesemer (1994)
10 Für eine ausfürlichere Diskussion der ToT siehe siehe Anhang
11 Eine Schätzung des IWF kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Siehe Todaro (1997), S. 464
12 Berrechnungen basieren auf Zahlen aus: UNCTAD (1996a), Tabellen A12 und A18
13 Vgl. Hemmer (1988), S. 518f
14 Siehe: Maennig (1996), Kap.3, S.85ff; Todaro (1997), S.465ff
15 Zu einem Überblick über entsprechende Studien siehe Edwards (1993)
16 Eine Liste der untersuchten Länder befindet sich im siehe Anhang
17 Eine Liste der untersuchten Länder befindet sich im siehe Anhang. Die Studie deckte für die meisten Länder den Zeitraum von 1950 bis 1985 ab.
18 Krueger (1978), S.22 und Edwards (1993), S.1364
19 Edwards (1993), S.1364
20 Krueger (1978), S.22
21 Michaely (1991), S. 15ff
22 Die Einstufung in Einkommensklassen bezieht sich auf die von der Weltbank vorgenommene Unterteilung. Siehe dazu die entsprechenden Weltentwicklungsberichte für den von der Michaely-Studie betrachteten Zeitraum.
23 Gray/Singer (1988), S. 399
24 Vgl. Helleiner (1986), S.146
25 Todaro (1997), S. 656. Bezieht sich auf Preise in US$ von 1980.
26 Kavoussi (1985, S.390) wörtlich: "gains [from trade were] likely to be canceled by cost of free trade."
27 Edwards (1995), S.1375
28 Sridharan (1996), S.54
29 Kim (1994), S.317; Sridharan (1996), S.49
30 Sridharan (1996), S.??
31 Kim, K.S. (1994), S. 319. Koreas Wachstum fiel 1960 auf 2% von vorher durchschnittlich um 5%
32 Taylor (1988), S.139
33 Taylor (1988), S.139
34 World Bank (1991), S.121
35 Leipziger u.a. (1992), S 59
36 Leipziger u.a. (1992), S.45
37 Franco/Fritsch (1994), S 63
38 Franco/Fritsch (1994), S 63
39 zu diesem Absatz vgl. do Amaral (1977), S.6ff
40 Amaral (1977), S. 15
41 Wilke (1997), Tabelle 3403
42 Amaral (1977), S.31
43 Wilke (1997), Tabelle 3403
44 Amaral (1977), S.20ff u. S.43
45 Michaely u.a. (1991), S.324
46 Zwischen 1981 und 1983 sank das BSP um 4,9 % (ECLA-Daten)
47 Fritsch/Franco (1994), S.89
48 World Bank (1991), S. 121
49 Moffett (1997)
50 Financial Times (4.2.1997); Economist (21.121996)
51 Die barter terms of trade berechnen sich wie die commodity terms of trade, nur daß sie sich lediglich auf den Güterverkehr beeziehen. Siehe Wagner/Kaiser (1995), S.68 und World Bank (1991), S.106
52 Hemmer (1988), S.193ff und Wagner/Kaiser (1995), S.69ff